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doris rothauer

Im Vertrauen liegt die Zukunft

Aktualisiert: 4. Juni 2019

Welche Themen werden die Museumsarbeit der Zukunft bestimmen? Die 5 wichtigsten Futuretrends für Museen im Überblick.

Singapore´s Garden by the Bay könnte ein Vorbild für die Museen der Zukunft sein, die sich als Advokaten für eine nachhaltige Zukunft unseres Planeten einsetzen. Foto: ©Nikolai Sorokin - stock.adobe.com

Wir schreiben das Jahr 2040. Museen haben einen radikalen Transformationsprozess hinter sich. Ausgedacht von der American Alliance of Museums, lassen sich die Zukunftsszenarien, anschaulich bebildert und beschrieben, nachlesen in einer Publikation aus dem Jahr 2017, die kein Detail auslässt - vom Vorwort, das in der Zukunft geschrieben ist, bis zu den Inseraten.


Wer nun erwartet, dass die Zukunft in einer massiven digitalen Transformation liegt, in Science-Fiction-ähnlichen, neuen AR- und VR-Technologien, oder in Robotern, die auch vor dem Museum nicht Halt machen, wird enttäuscht. Wenn auch etwa Museumsdepots auf Satellitenstationen im Orbit untergebracht sind, ist die eigentliche Innovation keine technologische, sondern eine soziale:

Die Museen der Zukunft sind „truly essential civic institutions“.


„Some of the most successful new museums of this century are those that focus on changing the world in specific ways: museums dedicated to combating climate change, rising sea levels, deforestation, and violence; reducing homelessness; promoting enlightened immigration policies; and fostering their communities´ health and well-being.”

Mit Zahlen untermauert sieht das beispielsweise so aus:

  • 2.132 Museen US-weit sind als „Museum Schools“ mit Schulen zusammengelegt; sie bilden mehr als eine halbe Million Schüler jährlich aus.

  • 1.112 Museen betreiben ärztliche Versorgungszentren und unterstützen Patienten per Kunst auf Verschreibung beim Heilungsprozess. Solche Programme werden mit jährlich über 400 Millionen Dollar an Impact Investments unterstützt.

  • Museen sind mit ihrer Kreativkompetenz und Bildungsautorität Advokaten für Nachhaltigkeit und Klima-Resilienz. Sie agieren als Vorbilder im Aufbau nachhaltiger Communities, indem sie etwa saubere Energie produzieren und weitergeben, oder Gewächshäuser betreiben.

  • Die Umverteilung von Rollen und Kompetenzen lässt „hybride“ Museen entstehen, die auf Interdisziplinarität und Kooperationen, auf neuen Organisationsstrukturen und Führungsmodellen aufbauen, wie etwa einem Rotationsprinzip an der Spitze der Häuser alle drei Jahre.

  • Mit ihrer Kernaufgabe, dem Bewahren, Sammeln und Vermitteln von Kunst, verlassen die Museen ihre eigenen vier Wände und gehen dorthin, wo sich Menschen tagtäglich bewegen:  Bahnhöfe, Busstationen, Seniorenheime, Kindergärten, Supermärkte, Kirchen sowie in den öffentlichen und digitalen Raum.


Was soll das alles für einen Sinn machen und wie kam es zu diesen massiven Veränderungen im Tätigkeitsprofil der Museen?

Auch darauf liefert das Gedankenexperiment Antworten:


“We had become unsustainable mausoleums, with dated business and programmatic models. We found ourselves closed off from the world in many regards, standing idly by as our industry languished.”   

Mag man aus heutiger – elitärer – Sicht solche Szenarien als Unfug abtun, so ist dem dahinterstehenden Wertewandel im Selbstverständnis doch einiges abzugewinnen. Es ist ein Wertewandel, der derzeit vielen Playern in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft schmerzhaft abgerungen wird:  


“To survive, we had to challenge our old paradigms, and letting ourselves be guided by the needs of our communities. A new type of museum emerged, one that no longer looked inward to a self-serving mission. We became open and accessible, revolutionary in our thinking and our operations. Museums reinvented themselves as civic spaces, embracing social responsibility.”

Museum 2061: Museumsexpert_innen aus Österreich erarbeiten auf Einladung des Österreichischen Museumsbundes Zukunftsvisionen der Institution Museum.

Hierzulande hat der Österreichische Museumsbund ähnliches gewagt, und noch weiter in die Zukunft geschaut: „Museum 2061 – Die Zukunft des Museums beginnt jetzt“, so der Titel einer Veranstaltungsserie 2016 und 2017 mit rund 150 Teilnehmer_innen, die gemeinsam in die Zukunft geschaut haben. Und auch hier ging es darum, den Elfenbeinturm zu verlassen.


Das Ergebnis ist weit weniger mutig und radikal, wenngleich vom Grundtenor ähnlich: „Das Museum im Jahr 2061 wird eine Kontaktzone geworden sein, ein freier, autonomer und heterogener Raum der Versammlung von Menschen und Dingen.“


Interessant an den in der begleitenden Broschüre festgehaltenen Szenarien ist, dass auch hier die Hinterfragung der bestehenden Führungs- und Organisationsprinzipien ein großes Thema ist. Ein Rotationsprinzip wird hier ebenso vorgeschlagen wie eine kollektive Leitung aus Mitarbeiter_innen, die alle vier Jahre wechselt und eng mit einem Besucher_innen-Beirat zusammenarbeitet.


„Mein ideales Museum ist eine lernende Organisation, es hat deswegen diverse Formate und Gefäße zur Reflexion seiner Positionierung und Arbeit, aber auch zur Förderung seiner Mitarbeiter_innen.“


TrendsWatch: Die Zukunft ist jetzt


Kommen wir nochmals auf die American Alliance of Museums zurück. Mastermind hinter deren Zukunftsszenarien ist Elizabeth Merritt, die dort das Center for the Future of Museums leitet.


Sie ist auch Herausgeberin und Autorin der jährlichen TrendsWatch-Berichte. Jedes Jahr identifiziert sie fünf Themen, die sie als höchst relevant für Museen und deren Stakeholder, allen voran die Besucher_innen, sieht. Ihre Trendanalysen entwickelt sie aus der Beobachtung der Gegenwart heraus, nach dem Motto: Die Zukunft ist jetzt. In ihren Berichten gibt es zu jedem Thema eine Einführung, die die Aktualität und Relevanz erläutert, um dann Fallbeispiele sowie Handlungsanweisungen („Museums might want to ...“) zu liefern.


Elizabeth Merritt vom Center for the Future of Museums bringt alljährlich den TrendsWatch-Bericht heraus. Hier präsentiert sie die Themen 2019 im Austrian Cultural Forum in New York. Foto: Advantage Austria/Helga Traxler

Heuer im April hatte ich die Möglichkeit und Ehre, Elizabeth Merritt für einen Vortrag ins Austrian Cultural Forum in New York einzuladen, um mit uns über die Trends 2019 zu diskutieren.


Uns beziehungsweise wir, das war eine Runde von Kunstschaffenden und Museumsexperten aus Österreich, die an einer 3-tägigen Museumstour in New York zur „Zukunft der Museen und Kulturinstitutionen“ teilnahmen, veranstaltet von der Wirtschaftskammer Österreich, kuratiert und moderiert von mir.


Ihre Trends & Themen für 2019: Wahrheit & Vertrauen, Blockchain, Dekolonisierung, Obdachlosigkeit sowie Self-Care.


Das Thema Wahrheit & Vertrauen gab Anlass zum Nachdenken.

In Zeiten von Fake News bekommt Wahrheit eine neue Relevanz. Aus Besucherbefragungen weiß man, dass Museen eine „Wahrheitshoheit“ zugeschrieben wird, das Vertrauen der Besucher-innen in Museen ist außerordentlich hoch. Das wirft wiederum die Frage auf, ob man als Museum neutral bleiben soll oder kann. Immerhin ist „das Museum“ eine Vielzahl an Menschen – zum Beispiel auch Kurator_innen, die Inhalte auswählen und bestimmen. Bei Blockchain, das muss ich zugeben, sind die meisten von uns ausgestiegen. Spannend wurde es dann bei Obdachlosigkeit und Armutsgefährdung. Denn was hat das mit Museen zu tun? Elizabeth Merritt dazu:


„Art is not a privilege, it is about basic needs”

Wenn ein Grundbedürfnis in der Gesellschaft zunehmend gefährdet ist, können Museen dazu beitragen, ein Bewusstsein und Verständnis für die Gefahr und für Betroffene zu erzeugen – “museums as interpreters, who change the narrative”.


Ein Beispiel: In Großbritannien gibt es ein „Museum of Homelessness, which collects and shares the art, histories and culture of homlessness and housing to make the invisible visible through research, events and exhibitions“. Und wie berührt das andere Museen und Kultureinrichtungen? Durch Kooperationen, zum Beispiel mit der Tate Modern, die 2017 das Projekt „State of the Nation“ zeigte, welches die Dimension des Problems in unserer gegenwärtigen Gesellschaft thematisierte. Oder die Kooperation mit dem Künstler David Tovey, ehemals obdachlos, der es mit seiner aktivistischen Kunst mittlerweile in die großen Häuser schaffte.


Noch ein paar Worte zu Self-Care, „which is about emotional strength“. Hier wird, neben dem Empowerment der Besucher_innen auch die interne Aufgabe eines Museums angesprochen, seine Mitarbeiter_innen emotional zu stärken und Stress und Burnout zu vermeiden. Eine ganz wichtige Aufgabe, in einem Bereich, der nach wie vor sehr hierarchisch und auf Selbstausbeutung aufgebaut ist!


Service:


Die Themen der letzten Jahre im Überblick:


2016:

  • Arbeit 3.0

  • Inklusion

  • Augmented & Virtual Reality

  • Identität

  • Happiness


2017:

  • Empathie

  • Gerechtigkeit

  • Künstliche Intelligenz

  • Migration

  • Scheitern (als Grundlage agiler Innovationsprozesse)


2018:

Die Jubiläumsausgabe durchbrach die Tradition der Themen und entwarf unterschiedlichste Szenarien.


2019:

  • Wahrheit & Vertrauen

  • Blockchain

  • Dekolonisierung

  • Obdachlosigkeit & Gefährdung der Unterkunft

  • Self-Care

Die TrendsWatch-Berichte sowie die Sonderausgabe Museum 2040 gibt es zum Download auf der Website der American Alliance of Museums.



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