Der Leiter des Volkskundemuseums Wien, Matthias Beitl, im Gespräch mit Cultural Impact über Kulturpolitik, eine neue Kultur des Arbeitens und was er sich vom "Zwischenjahr" erwartet.
Das Gespräch wurde von Kerstin Hosa per E-Mail geführt
Woche Acht. Die österreichische Bundesregierung beschließt die Corona-Lockdown-Maßnahmen sukzessive aufzuheben. Die Kunst- und Kulturwelt steht jedoch weiterhin still. Museen öffnen vereinzelt ihr Ausstellungsräume, doch die Besucher fehlen weitgehend. Alle anderen Kulturbetriebe - Kinos, Festivals, Theater, Musikhäuser, .... - müssen weiter geduldig sein.
Viele Kultureinrichtungen haben dieser Tage einen regelrechten Digitalisierungsschub erfahren. Filmfestivals finden im Netz statt, Kulturvermittlungsaktionen werden über Zoom erprobt und KünstlerInnen treten via Instagram in den Dialog. In dieser Fülle an Angeboten fällt uns ein Museum besonders auf. Das Volkskundemuseum Wien. Ja! Dieses hat 2020 zum Zwischenjahr erklärt.
Wir haben nachgefragt, was das Zwischenjahr konkret bedeutet. Der Museumsleiter, Matthias Beitl, hat auf unsere Fragen geantwortet:
„Das Museum konzentriert sich auf seine Kernkompetenzen und leistet hier jene grundlegenden und zukunftsweisenden Arbeiten, die in den letzten Jahren aufgrund der (zu) dicht gedrängten Aufgaben oftmals bedauerlich zu kurz gekommen sind.
Das Museum erforscht sich selbst, fragt nach seinen materiellen wie immateriellen Ressourcen und wie diese – etwa in thematischen wie methodischen Neuorientierungen – am besten eingesetzt werden können.
Im Austausch mit Cultural Impact betont Matthias Beitl wie erfolgreich das Volkskundemuseum in den letzten Jahren unterwegs war - und das trotz angespannter finanzieller Situation. Man habe mit der öffentlichen Hand um Lösungen gerungen. Die Pläne waren groß und eine vielversprechende Kooperation mit dem „Weltmuseum“ standen im Raum. “Diese wurden jedoch politisch nicht gewünscht. Seit dieser Zeit beschäftigt sich das Haus intensiv mit anderen, eigenständigen Neupositionierungen, während sich die finanzielle und strukturelle Situation zwischen Bund und Stadt zunehmend prekär für das VKM gestaltet."
Im April 2020 - während alle Museen in ganz Österreich aufgrund der Pandemie geschlossen haben - prangert auf der Website des Volkskundemuseums: “Wir werden manches reduzieren, um uns auf anderes zu konzentrieren.” Reduktion ist aktuell das Gebot der Stunde. Dass ein Museum freiwillig in “Quarantäne” geht überrascht dann doch und wir fragen: Was erwartet sich das Volkskundemuseum von dieser Phase des Nachdenkens? Sind damit auch konkrete Ziele verbunden?
Die Antwort des Museums fällt entsprechend aufschlussreich und konkret aus:
Die Planung des Zwischenjahres hat schon 2018 gestartet.
Ein wesentlicher Teil davon waren und sind moderierte Teamentwicklungsworkshops. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Arbeitsbereiche im Museum haben wir versucht, uns selbst aus den eingeübten Handlungsräumen zu befreien, um andere Perspektiven auf unsere Arbeit zu gewinnen. Das ist der schwierigste Schritt. Die MitarbeiterInnen waren dazu angehalten, sich zu überlegen, was sie gesamtheitlich gesehen gerne tun, was ihnen fehlt, für was sie Zeit brauchen und schliesslich für sich ein Projekt zu definieren, das nachhaltig in die Weiterentwicklung des Museums einzahlt. Das ist herausfordernd und mitunter auch “ernüchternd“, nämlich festzustellen, wie stark „Institution“ wirkt, auch wenn man die Handlungsräume völlig zur Disposition stellt. Es geht letztlich auch um Sicherheit, Gewohnheit und Vorstellungsfähigkeit.
Die meisten Projekte finden im Bereich Sammlungsqualifizierung, Digitalisierung (online und social media), und „Erledigungen" von Langzeitvorhaben statt. Diese Vorhaben sind auch in Zeiten von Corona in vollem Umfang durchführbar. Worauf wir verzichten mussten, ist die Komponente eines begleitenden öffentlichen Programms. Was wir konzentrierter fortführen können, ist die in einer Metaebene stattfindende Perspektivenentwicklung für das Museum, Stichwort Visionspapier, Neupositionierung, Sanierung. Dieser Prozess greift auf Teile der anderen Projekte zu.
Die Ziele liegen im Bereich Arbeitskultur, Kommunikationskultur, Sammlungsqualifizierung, Neukonzeption, museumspolitische Veränderungen anstoßen (für alle).
Hut ab. Das sind ganz neue Töne - ein Museum nimmt sich "raus" und startet einen Prozess des Nachdenkens über die Sammlungen, Beziehungsarbeit, über wechselseitige Lernprozesse. Und gesteht sich ein, dass es - um seiner eigenen Vision gerecht zu werden - auch an der eigenen Organisationsstruktur nachschrauben muss, damit es zu einer neuen Arbeitskultur kommen kann, in der “Wissen und Unwissen verhandelt werden kann, wo Experimente scheitern können, wo Vielstimmigkeit und kritisches Potenzial Auswirkungen auf Arbeitsprozesse und Sammlungen haben. Um Beziehungen nach aussen zu schaffen, müssen wir im Inneren eine Sphäre des Lernens, Kreierens und des Diskutierens schaffen. So entstehen von außen nachvollziehbare Orte des Austausches."
Denn die zentrale Frage lautet: Wie wollen wir denken und arbeiten - so hat es jedenfalls Matthias Beitl in einem Text formuliert, den er uns ebenfalls zur Verfügung stellte.
Ob man aus der Perspektive des freiwilligen Rückzugs, auch anderen Kultureinrichtungen ein Zwischenjahr ans Herz legen könne, wollen wir abschliessend noch wissen?
Matthias Beitl: Nun, man könnte sagen, unsere Planungen zum Zwischenjahr waren eine organisatorische Punktlandung, denn nun sind alle Museen in einem „Zwischenjahr“. Mit Blick auf die Diskussion rund um die Bundesmuseen, zeigt sich die Problematik der Tourismus (Quantitäts-) fokussierten Ausstellungsprojekte. Nicht, dass es die nicht geben soll, aber der Fokus der Museumspraxis könnte sich nun neu ausrichten.
Die Frage ist: Wem gehören die Museen? Der Gesellschaft, die sie finanziert, und für die Bildungsarbeit, Herausforderung und Genuss im weitesten Sinn geleistet werden soll.
Diese Museen sind zunächst einmal Archive der Zukunft aus kuratorischer und inhaltlicher Sicht. Denn irgendwer wird irgenwann mit diesem Material eine Geschichte erzählen wollen. Es sind die Geschichten der Sammlungen und ihrer Entwicklung. Und: essentiell für Kulturschaffende und für die Gesellschaft ist, dass Kulturpolitik versteht, dass Nachdenken, Forschen, Sammeln, Publizieren und Vermitteln (fair pay für KultuervermittlerInnen) grundlegende Elemente der Kulturarbeit sind, darüber kann man noch intensiver nachdenken und danach handeln.”
Mehr gibt es von uns an dieser Stelle nicht zu ergänzen.
Ausser: Ja, denken wir gemeinsam über die Rolle von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft nach.
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