Zwei Museumsexperten im Gespräch: Wolfgang Muchitsch und Sabine Fauland über die Wirkung von Museen, Versuche diese zu messen und politische Entwicklungen in Europa.
Das Interview führte Tina Trofer.
Cultural Impact: 2018 hat der Museumsbund Österreich eine Studie über den Mehrwert der österreichischen Museen veröffentlicht. Die Autoren konzentrieren sich in dieser Untersuchung auf die wirtschaftlichen Kennzahlen.Gingen Sie bei Ihren Berechnungen auch Fragen des Impacts nach?
Muchitsch: Nein. Wobei wir gerne mehr über die soziokulturellen Effekte der Museen wissen würden. Also, was wir als Museum zur Bildung, Demokratieentwicklung und Wertevermittlung einer Gesellschaft beitragen.
Cultural Impact: Warum hat sich dann die Studie nur auf eine klassische volkswirtschaftliche Wertschöpfungsberechnung beschränkt?
Muchitsch: Wir haben für diese Studie mit den Zahlen gearbeitet, die wir aus unseren Managementsystemen heraus entwickeln. Das sind Systeme, die nur etwas über Quantität aber nichts über Qualität aussagen. Natürlich wären wir daran interessiert, andere Kennziffern zu erheben, um messen zu können, was wir zum "Well-Being" beitragen. Aber wenn Sie nach der Wirkung fragen, dann müssen wir ganz ehrlich sein und sagen: wir haben keine Messmethoden dafür. Die meisten Berechnungsmodelle, auch in anderen Kulturbereichen, haben einen rein ökonomischen Hintergrund. Beim Impact von Museen stoßen wir an unsere Grenzen.
Cultural Impact: Es gibt Ansätze aus dem sozialunternehmerischen Bereich, wo schon seit längerem der Impact gemessen wird. Wurden mit der ICG Integrated Consulting Group, die diese Studie durchführte, solche Ansätze der Wirkungsorientierung, wie zum Beispiel der Social Return on Investment, diskutiert?
Fauland: Ja, diskutiert schon und es gibt auch einen Beitrag dazu in der Publikation. Aber da könnte man natürlich viel mehr forschen und tun. Uns beschäftigt das Thema natürlich. Letztlich wollen wir nicht ausschließlich an den Besucherzahlen gemessen werden. Der Museumsbund hat 2018 eine Klausur dazu veranstaltet. Teilgenommen haben Vertreter_innen der gesamten österreichischen Museumslandschaft. Die Idee war, ein Gegenmodell zu den rein wirtschaftlichen Berechnungsmethoden zu entwickeln. Wir waren eine Runde kreativer Köpfe, doch uns ist nichts eingefallen, was mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umsetzbar wäre. International gibt es schon Beispiele zur Messung des Impacts. In Großbritannien wurden für den Mendoza-Report zwei Jahre qualitative Interviews geführt. Dafür stand ein angemessenes Budget zur Verfügung - wir hatten leider nicht so viel Geld.
Muchitsch: Vielleicht liegt es auch an den vielseitigen Angeboten in unseren Museen. Diese sind in ihrer Unterschiedlichkeit schwer zu erfassen. Sicher, man kann sich einzelne Nischenprogramme, zum Beispiel für Menschen mit Demenzerkrankungen, ansehen, nur dann frage ich: Was bringt das? Außerdem werden die Besucher_innen in den Museen immer diverser und das Umfeld, in dem sich Museen befinden ist ebenso vielseitig. In Wien konzentrieren sich viele Museen auf die Touristen, hier in Graz ist das anders. Da bin ich auf den Besucher angewiesen der wieder kommt.
Cultural Impact: Also auf die Stammkunden?
Muchitsch: Genau. Auf jene Menschen, die aus der Region kommen. Deshalb interessiert mich weniger unser Beitrag zum Landestourismus. Ich stelle mir vielmehr die Frage, welchen Stellenwert unsere Kultureinrichtungen in der Region haben.
Fauland: Dieses Messen und Bewerten kommt aus einer gewissen Verteidigungshaltung den Geldgebern und der Öffentlichkeit gegenüber, um zu zeigen, wieso es Museen braucht. Dafür sind die Wertschöpfungsberechnungen natürlich schon sinnvoll. Es geht darum aufzuzeigen, dass ein Vielfaches an Steuerleistung, beispielsweise aus dem Tourismus, direkt zurück an die öffentliche Hand fließt: volkswirtschaftlich werden die Subventionen, die Museen erhalten, beinahe verdoppelt. Einsparungen im Kulturbereich sind also letztlich nicht sinnvoll. Das sagt aber nichts über den eigentlichen Kulturauftrag von Museen aus. Den Impact, von dem Sie sprechen, kann man auch nur mittels langfristiger Beobachtungen und Analysen berechnen. Besucht ein Schüler ein Museum, dann muss dieser Besuch keine unmittelbare Auswirkungen auf sein Leben haben. Die positiven, wie möglicherweise negativen Auswirkungen, werden erst im Laufe der Jahre spür- und sichtbar.
Cultural Impact: Das Museum of Modern Art in New York bietet seit vielen Jahren Inklusionsprogramme an. Diese wurde kürzlich untersucht und das Ergebnis ist beeindruckend: Alzheimer Patienten, die regelmäßig in das Museum gehen, benötigen weniger Medikamente als jene, die nie ein Museum besuchen.
Fauland: ... und in Kanada gibt es Museumsbesuche per Arztverordnung. Sie sehen, viele Museen sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert und stellen sich regelmäßig der Frage “Museum - wozu?". Egal, wo wir hinsehen, fast überall kämpfen die Museen um Besucher_innen, um die Darstellung ihrer Forschung und ganz viele auch ums Überleben.
Cultural Impact: Was sind die größten Probleme, mit denen die heimischen Museen konfrontiert sind?
Muchitsch: Eine große Herausforderung ist die Digitalisierung, die Entwicklung der öffentlichen Budgets und das Wegbrechen der bürgerlichen Gesellschaftsschicht, die immer das Kernpublikum des Museums war. Das gibt es schon lange nicht mehr. Ebenso das massive Zurückfahren der Sammlungstätigkeiten. Wir ruhen uns aus auf den Leistungen früherer Generationen aus. Und der zunehmende Anspruch an die Professionalisierung der Mitarbeiter wird für die Teams immer herausfordernder. Neben den Expert_innen gibt es heute in den Museen eine wirtschaftlich ausgerichtete Managerebene. Das heißt, die viel besprochene Ökonomisierung der Museen findet nicht nur von Außen sondern auch von Innen statt.
Fauland: Museen nach kapitalistischen Maßstäben zu messen beziehungsweise sie zu stark einer Wirtschaftlichkeit zu unterwerfen, schadet den Museen am Ende des Tages. Sie sind Kreativ- und Wissenschaftsbetriebe, das ist zeit- und personalintensive und kann nicht ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen gemessen werden. Es ist an der Zeit, die Denk- und Arbeitsräume wieder zu öffnen, die Hierarchien flacher zu machen und Projektstrukturen zuzulassen. Denn das hat sich auch inhaltlich ausgewirkt. Was man in den letzten Jahren an Ausstellungen gemacht hat, ist ein Sich-hinauf-Nivellieren auf ein langweiliges, glasklares Vitrinenausstellungsmodell. Überall in Europa sehen die Ausstellungen gleich aus. Es wird nur das wiederholt, was schon einmal funktioniert hat. Das ist ein grundsätzliches Problem, denn Innovation findet im Museum nicht in dem Ausmaß statt, wie wir es uns oft wünschen würden.
Muchitsch: In den kleineren und mittleren Häusern ist das aber anders.
Fauland: Ja, weil die kleineren Museen oft kreativer sein müssen. Überbordende Leihanforderungen, knappe Budgets, Politiker und Beamte, die möglicherweise keinen Überblick über Museumsarbeit haben. In Dänemark werden Praktika in Museen für Politiker angeboten. Ausstellung machen statt eröffnen! Schließlich geht es um mehr als das Bändchen durchschneiden bei Eröffnungen.
Cultural Impact: Hat die Verwirtschaftung und Ökonomisierung von der Sie sprechen auch etwas Positives gebracht?
Muchitsch: In vielen Bereichen läuft es heute effizienter. Gleichzeitig haben wir für jeden Handgriff ein Handbuch, für jede Bestellung ein Formular - das ist nicht per se schlecht - aber es raubt einem den Spaß am kreativen Arbeiten. Manchmal habe ich das Gefühl wir sind nur noch Verwalter.
Cultural Impact: Noch eine Frage zur Studie. In dieser ist immer die Rede von Stakeholdern, wen zählen Sie zu den wesentlichen Ansprechpartnern von Museen?
Muchitsch: Wer ist es nicht? Im Prinzip sind es doch Alle.
Fauland: Die Bevölkerung ist der wichtigste Stakeholder. Sobald wir das Museum als öffentlichen Ort und Möglichkeitsraum begreifen, dann stehen die Besucher im Mittelpunkt.
Muchitsch: Und was ist mit jenen, die gar nicht in das Museum kommen? Nicht Alle interessieren sich für Kunst. Mich interessiert Fußball nicht. Da können Sie mir noch so viele Tickets schenken, ich würde zu keinem Match gehen. Eine Frage die wir uns alle stellen sollten ist, wie weit wir als Museum gehen wollen. Muss ich alles zu einem Event machen damit die Leute ins Museum kommen? Ein gutes Beispiel ist die Lange Nacht der Museen. Bei diesem Event zahlen die Besucher mehr, kommen zu unmöglichen Zeiten und müssen sich mit vielen anderen durch die Ausstellungsräume quetschen. Sie könnten genauso gut am Vormittag kommen. Aber der Event ist gut vermarktet, man will dabei gewesen sein.
Cultural Impact: Kommen wir von der Analyse zu den Lösungsansätzen. Welche Lösungen gibt es und welche Ideen zeigen vielversprechende Wege auf?
Fauland: Kooperationen zwischen den Einrichtungen sind am wichtigsten, der ehrliche Austausch und das Miteinander. Wenn es zum Beispiel um konkrete Erfahrungen und Probleme geht. Warum arbeitet man dann nicht gemeinsam an einer Lösung? Und ich wünsche mir mehr Mut. Zum Beispiel um zu sagen, dass es heuer keine Sonderausstellungen geben wird, weil das Geld nicht reicht und es auch nicht ins Profil des Museums passt.
Cultural Impact: Sie meinen, sich nicht so unter Druck setzen zu lassen und eine Ausstellung nach der anderen zu produzieren. Also weg vom reinen Output.
Fauland: Ja, aber das schaffen die Museen nur gemeinsam. Wenn alle mit ihren Booten einzeln am Meer herumfahren, sind sie schwächer als im Konvoi.
Muchitsch: Eine andere Herausforderung sehe ich in den politischen Entwicklungen in Europa. In Polen wurde kürzlich das Team des Geschichte Museums rausgeworfen, weil der Politik die Darstellung nicht gefiel. Hier in der Steiermark haben wir in den 1990er Jahren unsere Erfahrungen gemacht. Das Joanneum wollte damals Werke des Malers Günter Brus ankaufen, die Freiheitliche Partei hat dagegen gestimmt.
Fauland: In dem Zusammenhang frage ich mich, wie lange Museen eine gewisse Haltung bewahren können. Diese Frage trifft vor allem die großen Einrichtungen, die viele Mitarbeiter haben. Wer steht gerade, wenn die inhaltliche Ausrichtung nicht passt und die Mittel gestrichen werden und in Folge bei den Mitarbeiter_innen der Sparstift angesetzt werden muss. In dem Punkt verhält es sich ein wenig wie mit der Titanic und dem Eisberg: Es ist schon recht fein, wenn man sich überlegen kann, welche Musik die Band spielt, aber dem Eisberg auszuweichen, ist dann wohl vernünftiger.
Cultural Impact: Gibt es Museen, die die vorgegebenen Rahmenbedingungen auf ihre Bedürfnisse anpassen und vielleicht sogar umdrehen?
Fauland: Es gibt immer wieder mutige Initiativen. In Deutschland gibt es zum Beispiel ein Freilichtmuseum das sich mit der Rechten im Dorf auseinandersetzt. Nur, wie lange kann das Museum das machen, wenn irgendwann 80 Prozent AfD wählen.
Muchitsch: Das Städel, wenn es um die Digitalisierung geht. Ein Haus herauszugreifen fällt mir schwer, weil es sehr viele Museen gibt, die in einem Teilbereich Best-Practice sind.
Cultural Impact: Das heißt es gibt Vorbilder, aber nur in einzelnen Teilbereichen?
Fauland: Das Volkskundemuseum Wien ist hinsichtlich der Öffnung des Museums und der mutigen Themenwahl ein Best-Practice-Beispiel. Das Salzburg Museum ist ein tolles Vorbild wenn es um die Leichte Sprache geht. Das Belvedere in Wien bietet Programme zu Deutsch als Fremdsprache an. Und das Kunsthistorische Museum macht schon seit vielen Jahren Führungen für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung. Demokratie und Bildung werden wiederum im Museum Arbeitswelt in Steyr offen verhandelt. Oder auch das Vorarlberg Museum in Bregenz, das als eines der ersten Museen im Bereich der Vermittlung eine Frau mit Kopftuch eingestellt hat. Im Grunde sind alle Museumspreisträger der letzten Jahre gute Beispiele.
Cultural Impact: Kommen wir noch einmal zur Wirkungsorientierung. Gibt es in den Museen Potenzial dafür? Kann es über eine quantitative Messung hinausgehen oder ist das einfach nicht machbar?
Muchitsch: Den Bedarf sehe ich, unser Kerngeschäft sollte dringend anders dargestellt werden als in den immer gleichen Zahlen. Praktikable Werkzeuge fehlen allerdings. Ansätze dafür gibt es, am Ende geht es jedoch meistens wieder um Big-Names und Ähnliches.
Fauland: Man könnte auch aus dem Besucherfeedback zu einer anderen Art von Bewertungssystem kommen. Wie im Restaurant-Bereich. Quasi ein Gault Millau für Museen, wo man aus Testbesuchen und Besucherfeedback zu einer Bewertung kommt. Das wäre ein charmanterer Zugang! Die Welt ist ein einziges Bewertungssystem geworden, wir werden uns dem nicht entziehen können. Wer geht denn heute noch in ein Restaurant, das unbewertet ist?
Cultural Impact: Gibt es noch einen Punkt der Ihnen wichtig ist?
Fauland: Wir müssen raus aus dem Elfenbeinturm. Als Museen können wir nicht weiter tun, als ob uns das alles nichts anginge. Wenn wir über die derzeitigen Berechnungsmodelle jammern, dann liegt es an uns etwas Neues zu entwickeln, damit wir aus dieser Kosten-Nutzen-Diskussion rauskommen. Am Ende bleiben wir auf unseren Objekten sitzen. Ja, ein Museumsbesuch ist kein Freizeitspass, sondern herausfordernd. Ich muss mein Hirn einschalten und mitdenken. Dafür benötigen wir mehr Agora, mehr Aufenthalts- und Lebensraum im Museum. Ich denke, damit könnten wir die Besucher_innen glücklich machen.
Wir haben mit der Kuratorin Sabine Fauland und dem Direktor des Universalmuseums Joanneum gesprochen. Gemeinsam bilden sie die Doppelspitze des Museumsbunds Österreich.
Was ist eure Meinung und wo seht ihr die großen Herausforderungen der Museen heute? Wir freuen uns über Feedback.
Ihr wollt euer Wissen vertiefen, hier ein paar praktische Links:
The Mendoza Review - 2017 wurde der Mendoza Report veröffentlicht. Untersucht wurden nationale, lokale und regionale Museen Großbritanniens, in enger Zusammenarbeit mit dem dem Arts Council England (ACE) und dem Heritage Lottery Fund (HLF)”.
Zur Lage der Österreichsichen Museen. Eine Bestandsaufnahme - 2018 wurde vom Museumsbund Österreich eine umfassende Studie über den Output der österreichischen Museen ein veröffentlicht.
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