Christoph Thun-Hohenstein, Direktor des Museums für angewandte Kunst Wien, über das Museum als Ort der Zivilgesellschaft - und wie sie SDGs Nutzen können.
Das Interview führte Doris Rothauer
Cultural Impact: Was sind aus Ihrer Sicht die derzeit größten Herausforderungen für Museen?
Thun-Hohenstein: Aus meiner Sicht muss es darum gehen, wie wir zeitgenössisches künstlerisches Schaffen – und zwar immer in Bezug auf die eigene Sammlung – so präsentieren, dass das Publikum damit etwas anfangen und für das eigene Leben etwas mitnehmen kann. In
unserem Fall ist natürlich die angewandte Kunst besonders wichtig, und in der angewandten Kunst geht es immer um den praktischen Nutzen – speziell im Design, aber auch in anderen angewandten Sparten, wie zum Beispiel der Mode. Die Herausforderung ist daher für uns,
einen Konnex zum eigenen Leben für den Besucher herzustellen.
Cultural Impact: Etwas fürs eigene Leben mitzunehmen, das wäre nach unserem Verständnis bereits eine Möglichkeit von Wirkung, die Museen haben können. Unsere Hypothese, die sich aufgrund von Recherchen und Interviews immer mehr bestätigt hat, ist allerdings, dass die
gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten von Museen nicht in ihrem vollen Potenzial genutzt und wahrgenommen werden. Würden Sie diese Annahme bestätigen, und wenn ja, warum ist das so?
Thun-Hohenstein: Es gibt sicherlich unterschiedliche Zugänge zu dem, was Museen leisten können und wollen. Das sieht jeder Museumsdirektor, jede Musemsdirektorin anders. Für uns ist unser
Weg ein Versuch, Orientierung zu vermitteln, und mithilfe der Künste dazu beizutragen, dass es eine aktive Zivilgesellschaft gibt.
Cultural Impact: Ist das die gesellschaftliche Vision und die Mission des MAK?
Thun-Hohenstein: Ja! Und ich glaube, dass mittlerweile immer mehr ähnlich gelagerte Museen diese Haltung teilen, auch international. Man kann sich nicht mehr darauf zurückziehen, nur schöne angewandte Dinge zu zeigen – schöne Gläser, schöne Kleider -, sondern man muss
gesellschaftlich relevante Impulse setzen. Gerade in einem Zeitalter der totalen Veränderung, das ich als „Digitale Moderne“ bezeichne. Wir müssen auch deshalb entsprechende Impulse setzen, weil es die Foren, in denen diese Aufbereitung in einer objektiven Weise geschieht, immer weniger gibt. Am ehesten noch bei den Universitäten, diese arbeiten aber nicht für eine Öffentlichkeit im breiteren Sinne, so wie es Museen tun.
Cultural Impact: Das geht über einen reinen Bildungsauftrag hinaus, in Richtung „Empowering“, um die Besucher, die Community, die Gesellschaft dabei zu unterstützen, eine aktive Zivilgesellschaft zu sein.
Thun-Hohenstein: Ja, ich bin ein Fan des Konzepts von kundigen und handlungsfähigen Bürgerinnen und Bürgern. Auf Englisch würde man sagen „literate citizens with agency“. Diese „literacy“ ist
Voraussetzung für eine sinnstiftende Handlungsmacht. Unsere Zielgruppen sind daher nicht nur die Besucherinnen und Besucher, sondern auch die Künstlerinnen und Künstler verschiedenster Sparten, die Kreativen, die wir dazu motivieren wollen, mit ihrer Arbeit den
gesellschaftlichen Diskurs voranzutreiben und sich die Themen, mit denen wir heute konfrontiert sind, vorzunehmen. Wir sind daran interessiert, dass die gesellschaftspolitischen Kräfte von uns Impulse bekommen und wir mit ihnen zusammenarbeiten. Nicht nur in den Kunstsparten, sondern weit darüber hinaus. Wir arbeiten mit Vertretern aus Technologie, Wissenschaft, Forschung etc. immer wieder zusammen, weil die Themen sehr komplex sind. Für die künstlerischen Sparten sehe ich die Herausforderung, dass sich derzeit neue Avantgarden bilden – das gilt für die Architektur,
das Design, die Mode, auch die Bildende Kunst –, wo Themen wie der Klimawandel, die Digitalisierung, der Ruf nach sozialer Nachhaltigkeit sehr stark die jeweilige Arbeit bestimmen. Wie können wir zum Beispiel unseren Lebensstil umstellen, um den ökologischen Fußabdruck möglichst gering zu halten? Dazu sind auch die kreativen
Disziplinen gefragt. Das ist eine Mischung aus kleinen Schritten jedes Einzelnen und größeren Schritten bei gesellschaftspolitischen Weichenstellungen, wie Steuersysteme oder Anreize für Unternehmen. In der Wirtschaft gibt es ja derzeit eine riesige Diskussion, ob
Unternehmen wirklich nur ihren Shareholdern verpflichtet sein sollen, oder ob „giving back to society“ nicht ein ebenso wichtiges Ziel ist.
Cultural Impact: Weil die Wirtschaft gerade ins Spiel kommt, im sozialunternehmerischen Bereich ist ja die Frage der Wirkung eine unternehmensstrategische Frage, das heißt Wirkungsorientierung
steht über reiner Profitorientierung. Es kann nicht mehr nur darum gehen, unhinterfragt Leistungen zu produzieren um möglichst hohen Absatz bzw. Umsatz zu generieren, sondern es muss darum gehen, mit dem Angebot und mit der Annahme des Angebotes eine Wirkung, sprich Veränderung zu erzielen – in der direkten Zielgruppe, aber auch bei Stakeholder und gesamtgesellschaftlich. Das ist unserer Meinung nach auch für Kulturinstitutionen von besonderer Relevanz. Können Sie die Veränderungen, auf die Sie mit ihren Aktivitäten abzielen, in irgendeiner Form feststellen, beobachten, erfassen?
Thun-Hohenstein: Was wir feststellen können ist, dass die Themen, die wir behandeln, auf hohes Interesse stoßen. Warum? Weil man das Gefühl hat, man bekommt hier gute Ideen, man kann sich Orientierung holen. Das steht für uns im Vordergrund. Wir machen dazu auch
Besucherbefragungen. Wir werden bis Ende des Jahres für das Design Lab eine neue Education App entwickeln, die ganz anders funktioniert als alles andere, was es bisher am kulturellen Markt gibt, und wo der Besucher die großen Themen, wie ich sie vorher erwähnt
habe, durcharbeiten kann.
Cultural Impact: Wäre da nicht auch ein „Impact reporting“ interessant, wo man erzielte Wirkungen und Veränderungen erhebt, darstellt und entsprechend kommuniziert? Zum Beispiel
Stakeholdern, Geldgebern, Medien gegenüber? Als Ergänzung zu den bisher üblichen Erfolgsbelegen, die rein quantitativ Besucher- und andere Zahlen auflisten, aber nichts über die Wirkung aussagen?
Thun-Hohenstein: Wir sind ja hier auf einem relativ neuen Weg und beschreiten teilweise Neuland, das auch zu einer gewissen Überforderung führt, nicht nur des Publikums, sondern auch mancher Medien, die eher das Konventionelle gewöhnt sind. Die noch business as usual berichten. Die Dringlichkeit gesellschaftspolitischer Problemstellungen und die Relevanz der Künste zur Lösung solcher Problemstellungen ist noch nicht in allen Feuilletons angekommen.
Cultural Impact: Kann zu einem Umdenken, zu einer Neubewertung der Rolle von Kunst und Kultur, der Rolle von Museen und Kulturinstitutionen, die Verknüpfung mit den 17 Sustainable
Development Goals der UNO ein wirkungsvoller Ansatz sein?
Thun-Hohenstein: Für uns sind die SDGs eine ganz wichtige Vorgabe, nach der wir arbeiten, viele der 17 Goals spielen eine zentrale Rolle in unserem Handeln und finden sich in den Themen, die wir
behandeln, und den Projekten, die wir zeigen, wieder. Ich glaube aber, dass diese Ziele viel zu wenig bekannt sind – nicht nur im Kulturbereich, sondern generell, in der Bevölkerung. Sie spielen auch in der politischen Diskussion kaum eine Rolle.
Cultural Impact: Also ein weiteres Wirkungsziel im Kulturbereich, zur breiteren Bewusstseinsmachung und Verankerung der SDGs beizutragen?
Thun-Hohenstein: Da bin ich absolut dafür, das ist ein klarer Bildungsauftrag.
Christoph Thun-Hohenstein leitet seit acht Jahren das Museum für angewandte Kunst Wien. Zwischen 1999 und 2007 war der Diplomat an der Spitze des Österreichischen Kulturforums in New York tätig.
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