Zwei Museumsexpertinnen im Gespräch: Bettina Leidl und Danielle Spera über Klimafragen, Verteilungsgerechtigkeit und Crowd Management.
Das Interview führten Doris Rothauer und Tina Trofer.
Cultural Impact: Was sind aktuell die größten Herausforderungen, mit denen Sie als Museumsdirektorinnen konfrontiert sind?
Leidl: Immer wieder die Budgetfrage, die unsere Arbeit bestimmt. Die vielfältigen Aufgaben, die an uns als Museen herangetragen werden – auf der einen Seite wissenschaftlich zu arbeiten und Sammlungen zu verwalten und weiterzuführen, andererseits uns über innovative Ausstellungsprojekte mit internationaler Strahlkraft zu positionieren. Dazu kommt der Druck nach Besucherzahlen, nicht zuletzt um den Eigendeckungsgrad zu steigern. Jedes Jahr mehr Besucher zu verzeichnen, ist ein wesentliches Erfolgskriterium für unsere Eigentümer. Und dann ist auch die lokale Positionierung gerade in Wien eine Herausforderung, weil es ein unglaublich vielfältiges und starkes Angebot an Ausstellungen und Programmen gibt, mit einer bemerkenswerten Museumsdichte. Es ist schön, in einem Umfeld agieren zu können, wo Kunst & Kultur eine derartig große Bedeutung hat.
Spera: Das darf ich gleich aufgreifen. Wien ist museal fantastisch aufgestellt. Die Breite und Dichte des Angebotes ist gegenüber anderen Städten unvergleichbar, auch über Europa hinaus. Dennoch könnten die Museen ihr Profil noch schärfen, denn welches Museum wofür steht, das ist nicht immer klar. Besucherzahlenmäßig sind wir ebenfalls hervorragend aufgestellt. Eine ganz große Herausforderung für viele Häuser ist die Infrastruktur, die veraltet ist. Die Depotfrage, da werden große Summen investiert werden müssen, ebenso in die restauratorische Erhaltung unserer Sammlungen – das sind kostenintensive Aspekte der Museumsarbeit, die die Besucher gar nicht sehen, für sie nicht relevant sind. Auch die Touristenströme stellen uns vor große Herausforderung. Wie löst man das Crowd Management ...
Leidl: Auch die Haus- und Sicherheitstechnik, da besteht in den meisten Häusern ein großer Investitionsbedarf, das kann ich nur bestätigen. Wir dürfen nicht vergessen, die von Erhard Busek bereitgestellten Museumsmilliarden (Schilling), für die Renovierung der Bundesmuseen zur Verfügung gestellt, war in den 1980er Jahren, also vor über 30 Jahren.
Cultural Impact: Wie sieht es vor diesem Hintergrund mit der gesellschaftlichen Wirkung aus?
Leidl: Gesellschaftspolitische Fragen in den Diskurs aufzunehmen, also in die Gesellschaft hinein zu wirken, zählt für Museen zu den zentralen Aufgaben. Das Kunsthaus Wien greift in seiner thematischen Ausrichtung verstärkt ökologische Themen auf und lädt Künster_innen ein, die sich in ihrer Arbeit mit den Zukunftsfragen unserer Zeit wie Klimawandel, Verlust der Biodiversität, der Verteilungsfrage und so weiter auseinandersetzen.
Cultural Impact: Ist das nicht ein Kreislauf in der Argumentation? Was wäre, wenn man dem Eigentümer bzw. Subventionsgeber statt der üblichen Besucherstatistiken andere Erfolgsbelege übermittelt? Zum Beispiel die Verweildauer ...
Spera: Da gab es ja bereits interessante Experimente, zum Beispiel in der Sammlung Essl. Dort wurde in einem Raum ein einziges Bild aufgehängt und die Besucher dann einzeln hineingebeten, 30 Minuten pro Besucher. Das geht aber, wenn ich jetzt unser Haus, das Jüdische Museum hernehme, an unserer Aufgabe vorbei. Wir müssen ein komplexes Thema vermitteln, noch dazu ein in der Geschichte Österreichs unerfreuliches Thema, sowie den jüdischen Beitrag in unserer Gesellschaft aufzeigen, das lässt sich nicht kontemplativ vermitteln - schon gar nicht an die vielen Schulklassen, die bei uns ganz zentral sind. Die Vermittlung ist eine unserer Kernaufgaben, und die braucht Zeit.
Leidl: Die Benchmarks Besucherzahlen und Eigendeckungsgrad können die Lösung nicht sein. Nehmen wir zum Beispiel unsere Vermittlungsarbeit her, da haben wir schon viele neue Formate probiert. Etwa das „Kinder Kunst Kenner“, wo Kinder aus bildungsfernen Schichten und aus Familien mit Migrationshintergrund in workshops arbeiten, mit der ganzen Familie, die dann zum ersten Mal im Museum ist. Oder Lehrlingsprojekte, die wir machen. Was ich aber nach wie vor vermisse, ist das Interesse und die Wertschätzung der Stakeholder, weiter in diese Richtung zu arbeiten und uns dabei zu unterstützen, Öffentlichkeit zu generieren. Wenn das ein Benchmark werden würde, wonach unser Erfolg beurteilt wird, dann wäre das fantastisch!
Spera: Dann ist auch die Inklusion leichter, das Einbeziehen und Arbeiten mit unterschiedlichsten Besucherschichten, mit allen Altersgruppen. Wir träumen alle von Inklusion.
Cultural Impact: Was wären Lösungsansätze für alle diese Herausforderungen?
Spera: Crowd Management ist ein wichtiger Ansatz. Aber auch Neubauten sind natürlich eine Lösung, weil sich dann vieles in der Infrastruktur von vornherein planen und berücksichtigen lässt.
Leidl: Und die Vermittlungsarbeit knüpft wieder an die Infrastruktur an, an die Ausstattung von Vermittlungsräumen und Labors, wo man mit Gruppen einen halben oder ganzen Tag arbeiten kann, sich intensiv mit Themen beschäftigen kann.
Cultural Impact: Das ist ja ein Teil unseres Bestrebens mit dem Forschungsprojekt, andere als bisherige Indikatoren zur Erfolgsmessung zu identifizieren und entsprechende Tools zur Evaluierung zu finden. Von einem rein quantitativen Erfassen von Besuchern und Programmen hin zu einer qualitativen Erfassung und Darstellung der Wirkung dessen, was man für wen tut.
Spera: Bei uns ist der Impact beim Besucher und in der Gesellschaft ganz wichtig, deswegen steht der gesellschaftspolitische Diskurs über die Kernthemen unseres Hauses im Mittelpunkt. Wir tun aktiv etwas gegen Antisemitismus, gegen Ausgrenzung – jeden Tag. Das ist der wichtigste Diskurs in der Gesellschaft heute! Wir haben 2016 mit Flüchtlingsprogrammen begonnen. Wenn Schulklassen zu uns kommen, dann haben oft mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler keine österreichischen Wurzeln. Die haben ein ganz anderes Bild vom Holocaust, das ist in ihrer Geschichtsvermittlung kein Thema gewesen. Daher ist auch die politische Bestätigung so wichtig, weil das von gesellschaftspolitischer Relevanz für unsere Stadt, für unser Land ist. Darin sehe ich unsere Hauptverantwortung, einer Tendenz entgegenzuwirken, die leider immer mehr Platz greift.
Cultural Impact: Ein starkes Bekenntnis! Haben da die thematischen Museen gegenüber den Kunstmuseen einen gewissen Vorteil, was Wirkungsorientierung und Wirkung betrifft?
Spera: Ja, ganz bestimmt. Die amerikanischen Museen mit ihrer Wirkungsorientierung können wir aus verschiedenen Gründen nicht als Beispiele heranziehen – um zum Eingangsthema der hiesigen Herausforderungen zurückzukommen – aber ich glaube es ist wichtig, eine gute Balance zu finden. Einen Mittelweg zwischen „kulinarischen Angeboten“ und Diskursebene.
Cultural Impact: Es wird wohl auch darum gehen müssen, dass jedes Museum für sich „sein“ Thema findet, wo gesellschaftliche Wirkung am ehesten erzielt werden kann. Was könnte die Wahrnehmung solch einer Wirkung in der breiten Öffentlichkeit unterstützen?
Spera: Eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Es ist wichtig, die Medien bei dieser Arbeit mitzunehmen. Und den Diskurs auch über die sozialen Medien zu führen – spread the news.
Leidl: Ich positioniere unser Haus unter anderem über das Thema der Nachhaltigkeit. Das ist für unsere Stakeholder durchaus ungewöhnlich, die das Thema eher bei Greenpeace als bei einem Museum sehen. Wie wir mit der Zukunft unseres Lebensraums umgehen, ein Thema, mit dem sich aktuell Künstler_innen stark auseinandersetzen. Um uns da in der öffentlichen Wahrnehmung zu unterstützen, braucht es die Kooperation mit Organisationen, die als Synergiepartner fungieren können, von den Schulen bis zu Unternehmen, die nachhaltig agieren.
Wir haben mit den Museumsdirektorinnen Bettina Leidl vom KunstHaus Wien und Danielle Spera vom Jüdisches Museum Wien gesprochen. Zusammen stehen sie an der Spitze von ICOM Österreich.
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