Es ist Freitag. Weltweit finden wie jede Woche die Fridays for Future-Kundgebungen statt.
Freitag, 20. September 2019: Während der Fridays for Future-Demonstration in New York wird eine künstlerische Intervention am UN-Gebäude enthüllt, die den Auftakt zu dem mit Spannung erwarteten Klimagipfel bildet.
Der neuseeländische Künstler Joseph Michael verwandelte die Fassade des 150 Meter hohen Büroturms in eine eisblaue Projektionsfläche, die einen gigantischen, in Zeitlupe in sich zusammenstürzenden Eisberg zeigt. Hinter dem Projekt steht die britische Stiftung „Project Pressure“, die sich der künstlerischen Visualisierung des Klimawandels verschrieben hat.
Die Stiftung war auch Kooperationspartner der Ausstellung "Dahinschmelzen. Gletscher als Zeugen des Klimawandels" im Naturhistorischen Museum in Wien im Sommer 2019. Arbeiten von 15 internationalen KünstlerInnen wurden in einen wissenschaftlichen Bezug zum Thema gesetzt. Der Besucher konnte unter anderem erfahren, wie die Grenzen innerhalb Europas durch die Gletscherschmelze neu gezogen werden müssen. Die Intention der Ausstellung ging aber über bloßes Bewusstmachen der Problematik hinaus, hin zu einer echten Verhaltensänderung. Mit Hilfe eines CO2-Fußabdruck-Rechners konnten Besucher auf Touchscreens abrufen, wie CO2-intensiv ihr Lebensstil ist, und erhielten Empfehlungen für Verbesserungen in Bereichen wie Zuhause, Verkehr, Energie oder Lebensmittel.
Auf Verhaltensänderung abzuzielen, ist eine klare Form von Wirkungsorientierung, die durchaus mit der Tradition des reinen Ausstellens und Vermittelns bricht bzw. weit darüber hinaus geht. Dies folgt einer neuen Praxis, die speziell Naturhistorische Museen weltweit zunehmend zu ihrer Mission machen: Verantwortung zu übernehmen, welche Geschichte man wie über die Natur und unsere Umwelt erzählt, um nicht nur ein Nachhaltigkeitsbewusstsein zu erzeugen, sondern Menschen aktiv dabei zu helfen, einen nachhaltigeren Lebensstil zu führen.
“The museum of the future should be a genuinely multidisciplinary space. If we’re talking about climate change, it wouldn’t just be talking about climate change as a problem of too much carbon in the atmosphere. It would be telling us why it’s there and who the interests are behind it, and what the real, structural barriers are to progress.”
So die kanadische Journalistin und Bestseller-Autorin Naomi Klein in einem Video-Interview, das als Teil einer Serie von einem ungewöhnlichen Neuzugang in der Museumsszene produziert wurde: dem Natural History Museum. Gestartet 2014 in New York mit dem Ziel, das Potenzial naturhistorischer Museen als Change Maker in Sachen Klimawandel zu aktivieren, organisiert das Pop-Up-Museum ohne feste Heimat Wanderausstellungen, Führungen, Exkursionen, workshops und talks zu umweltrelevanten Themen. Gründerin und Aktivistin Beka Economopoulos setzt auf Vernetzung und Neuausrichtung der naturhistorischen Museumslandschaft: “As the world begins to feel the catastrophic effects of climate change, do Science and Natural History Museums face a new imperative to become change makers? Whose stories are being told by these institutions?”
Damit ist Economopoulos Teil einer wachsenden Gemeinschaft unter Museumsexpert_innen, die sich selbstreflexiv mit ihrem gesellschaftlichen Auftrag unter den veränderten Rahmenbedingungen des Klimawandels auseinandersetzen. Bereits 2013 formierte sich das „Museums & Climate Change Network“ als internationale Interessengemeinschaft von Museen, die eine aktive Rolle im Bereich Klimaschutz einnehmen. In Kanada existiert seit 2017 die „Coalition of Museums for Climate Justice“. Im April 2018 fand die erste Internationale Konferenz zu „Climate Change and Museums“ in Manchester statt. Museumsneugründungen wie das Climate Museum in New York oder das Climate Museum UK forcieren und belegen den Trend.
Dennoch muss man differenzieren. Anders als in Europa und in Kanada, wo es ein mehr oder weniger einheitliches Verständnis über die Notwendigkeit des Themas und wirkungsvoller Maßnahmen gibt, spaltet der Klimakrise die Gesellschaft und die Politik in den USA massiv. Nach wie vor ist das Land nach China der zweitgrößte Emittent von Treibhausgasen, trotzdem sorgen sich laut einer Gallup-Umfrage vom März 2019 weniger als die Hälfte der Bevölkerung ernsthaft darum, und Trump verleugnet den Klimawandel als „hoax“. Einer der Beweggründe für Miranda Massie, eine ehemalige Rechtsanwältin, das Climate Museum in New York zu initiieren:
“Because climate change is so all encompassing and it touches every aspect of the human experience we need broader understanding and broader dialogue about the climate.”
Kunst und Kultur sind Door Opener, um ein so komplexes und kontroversielles Thema wie den Klimakrise auf breiter Ebene zu diskutieren, ohne zu überfordern oder zu polarisieren, wie Massie in einem Interview für den Green Heritage Futures Podcast erläutert. Museen kommt dabei eine besondere Rolle zu, aufgrund ihrer Popularität und anerkannten Autorität.
Der Green Heritage Futures Podcast ist ein Beispiel dafür, wie auf EU-Ebene das Thema Klimawandel mit Kunst & Kultur verknüpft wird. Hinter dem EU-geförderten Projekt steckt Julie´s Bicycle, eine gemeinnützige Einrichtung in London, die Kunst- & Kreativschaffende in ihren Rollen als Influencer und Game Changer in Sachen Klimawandel und Nachhaltigkeit unterstützt. Begonnen hat das erfolgreiche Projekt mit einer gemeinsamen Vision von Freunden, die sich in einem Londoner Restaurant namens „Julie“ im Oktober 2006 trafen, und von einer nachhaltigen Musikindustrie träumten. Mittlerweile hat sich dank Julie´s Bicycle nicht nur der Fußabdruck der internationalen Musikindustrie massiv reduziert. Auch die Theaterlandschaft, Museen und andere Kulturbereiche wurden mit Green Guides, Awards, Zertifizierungen, Tools und Trainings für ein nachhaltigeres Agieren missioniert. Denn Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Vermittlungsthema gegenüber dem Publikum und der Öffentlichkeit, es sollte auch eine intern gelebte Haltung sein.
Gerade Kulturinstitutionen können einen hohen ökologischen Fußabdruck hinterlassen, sei es durch aufwendige temporäre Einbauten – von Ausstellungen bis zu Bühnenbildern –, die danach meistens entsorgt werden, sei es aufgrund veralteter Gebäude und überholter technischer Infrastrukturen, sei es ganz grundsätzlich durch die Aufgabe, Kulturgut in großem Stil und Ausmaß öffentlich zugänglich zu machen.
Dieses Faktum hat heuer im Sommer die einflussreiche Tate in London bewogen, den Klimanotstand auszurufen und sich selbst einen drastischen Maßnahmenplan aufzuerlegen, quasi als Role Model für den Kulturbetrieb. Die CO2-Bilanz der Tate soll bis 2023 um 10 Prozent gesenkt werden, wofür man unter anderem in allen vier Häusern der Tate auf grüne Elektrizitätsquellen umsteigt, die interne Reisepolitik auf „Train-first“ umstellt, in der Gastronomie auf Lebensmittel aus nachhaltiger Landwirtschaft und vegane Angebote setzt, und generell die eigenen Werte sowie die Programmpolitik in Hinblick auf Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung überprüft.
Der Zeitpunkt der Klimanotstands-Deklaration war kein zufälliger. Zeitgleich wurde in der Tate Modern die programmatische Ausstellung „In Real Life“ von Olafur Eliasson eröffnet, eine Art Retrospektive mit mehr als 40 monumentalen Werken und Installationen, die allesamt Referenzen zur Natur und deren Zerbrechlichkeit herstellen. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler schafft es Eliasson, zu berühren, nachdenklich zu stimmen und einen Dialog auszulösen über das Verhältnis von Mensch und Natur. Alle Werke der Solo-Ausstellung, die von einem umfangreichen Diskursprogramm begleitet wird, sind auf dem Land- oder Seeweg nach London gebracht worden.
Ein weiterer, wen auch kleinerer Player in der CO2-Museumsbewegung ist das Manchester Museum, das die bereits erwähnte erste Internationale Konferenz zu „Climate Change and Museums“ ausrichtete. 2016 wurde das Museum, das zur Manchester University gehört, mit dem Gold Award des Carbon Literacy Projects ausgezeichnet. Als „Carbon Literacy“ bezeichnet man das Wissen um den Klimawandel und dessen Auswirkungen, sowie die Bereitschaft, darauf zu reagieren und etwas für positiven Wandel zu tun. Es gibt „Carbon Literate Citizens“ ebenso wie „Carbon Literate Organizations“. Das Museum hat Carbon Literacy in seiner Mission verankert, die Mehrzahl der Mitarbeiter sind durch intensive Trainings zu Klimaschutzmaßnahmen weitergebildet. Die teilweise in-house entwickelten Trainings werden nun an andere Museen weitergegeben.
Von New York über England zurück nach Wien. Auch hier gibt es ein Best-Practice-Beispiel für eine auf vielfältige Weise nachhaltig agierende Kunstinstitution: Das KUNST HAUS WIEN, welches das Vermächtnis von Friedensreich Hundertwasser, dem Pionier in Sachen künstlerischem Umweltschutz-Aktivismus verwaltet, ist Wiens erstes „Grünes Museum“, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Umweltzeichen.
Das Nachhaltigkeitskonzept des Museums baut auf mehreren Säulen auf: Einerseits hat man inhaltlich-programmatisch das Haus als einen Ort für KünstlerInnen positioniert, die sich mit Themen wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Recycling oder generationenübergreifender Verantwortung kritisch und visionär auseinandersetzen. Andererseits ist auch der operative Betrieb ganz auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Alle Abläufe werden in Hinblick auf Umweltverträglichkeit und ökologisches Handeln laufend geprüft und optimiert. Das betrifft nachhaltigen Einkauf ebenso wie die Bereiche Infrastruktur und Instandhaltung. MitarbeiterInnen können sich zu umweltrelevanten Themen fortbilden, und es finden regelmäßig Schulungen und Veranstaltungen statt. Wir finden dieses Beispiel so wichtig und vorbildhaft, dass wir dem KUNST HAUS eine eigene Story gewidmet haben.
Ressourcen:
The Natural History Museum:
Museums & Climate Change Network:
Coalition of Museums for Climate Justice:
Climate Museum:
Climate Museum UK:
Julie´s Bicyle:
KunstHaus Wien
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